August Dress im Juni

Ein kostenloses Schnittmuster? Ich gebe es zu, ich bin da manchmal dann skeptisch. Ich kann nur erahnen, wieviel Arbeit das Erstellen eines neuen Schnitts bedeutet. Selber finde ich es schon aufwändig, eine Schnittgrösse den eigenen Körpermassen anzupassen. Aber einen eigenen Kleiderschnitt zu zeichnen und diesen dann noch in diverse Grössen zu gradieren stelle ich mir doch ziemlich arbeitsintensiv vor. Ich bezahle gerne für einen Schnitt, einerseits als Wertschätzung für die Arbeit dahinter und für das Produkt, und andererseits weil ich dann aber auch - vielleicht manchmal etwas naiv - erwarte, dass der gekaufte Schnitt mit der nötigen Sorgfalt gezeichnet und getestet worden ist (klar, individuelle Anpassungen können immer mal erforderlich sein).

 

Umgekehrt sind mir dann kostenlose Angebote wie gesagt suspekt, ganz allgemein im Leben. Bei vielem was Gratis angeboten wird schwingt bei mir assoziativ der Hauch von billig, Ramsch und mangelnder Qualität mit. Warum sollte jemand freiwillig Arbeit und sogar Geld investieren um es dann jedermann einfach so zur Verfügung stellen? Qualität hat doch seinen Preis, oder? Wenn etwas einen Preis hat, hat es einen Wert, ergo wenn es nichts kostet, ist es nichts wert?

 

Das ist jedenfalls eines meiner Vorurteile im Alltag. Ich weiss, man kann sich da auch ganz arg täuschen. Häufig stimmt es, aber manchmal liege ich damit falsch. Und oft entgeht es mir auch einfach, weil ich es von vornherein misstrauisch ausgeschlossen habe.

 

Kennt Ihr das?

Eines gleich vorweg: diesen Schnitt bekommt ihr kostenlos inklusive Anleitung. Wie, was, warum und ob mein Vorurteil bestätigt oder widerlegt worden ist, folgt weiter unten.

Als Ines von Karlotta Pink uns Designnäherinnen anfragte, wer denn gerne ein Nähbeispiel aus den aktuellen indischen Handlooms mit Bordüren nähen möchte, hatte ich gleich ein Mädchenkleid im Kopf. Euphorisch meldete ich mich und zeigte mich grosszügig ziemlich flexibel was die Farbwahl anging (O-Ton "egal welche Farbe, alles ausser lila, pink und rosa bitte!"). Da hatte ich die Rechnung allerdings noch ohne meine Tochter gemacht, welche sehr bestimmt und eindeutig überzeugt auf genau das Bild des rosa/lila Handlooms zeigte. Jegliche Alternativ-Vorschläge meinerseits wurden mit heftigem Kopfschütteln abgewiesen. Und da ich ja möchte, dass sie das Kleidchen gerne trägt, habe ich ziemlich bald nachgegeben.

Der Stoff des Rockteils kommt wie gesagt aus Indien und wurde in kleinen Handwerksbetrieben handgewoben (handloom = Handwebstuhl). Diese Betriebe haben sich ausserdem zu einer Kooperative zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Frauen in ihrer Selbstständigkeit zu fördern und ihnen zu helfen, ein sicheres Einkommen zu generieren.

 

Der Baumwollstoff ist sehr leicht und luftig und eignet sich gut für leichte Kleider, Blusen oder Tunikas. Im Gegensatz zu fester gewebten, schwereren Textilien scheinen sie gegen das Licht gehalten leicht durch. Allerdings lässt sich der Stoff dennoch problemlos einlagig tragen, wie ihr auf den Fotos sehen könnt.

Die Bordürenmuster sind je nach Farbe unterschiedlich. Und praktischerweise entfällt dank der Bordüre das Säumen.

 

Da die Handlooms ja handgearbeitet sind, kann es im Stoff zu kleine Unregelmässigkeiten kommen. Handarbeit halt (oder näht ihr etwa jeden einzelnen Stich perfekt? ;-) ). Allerdings sind diese 'Abweichungen' in der Regel klein und fallen nicht auf.

Kombiniert habe ich den Stoff mit einem meiner anderen Lieblingstoffen, einem farbintensiven ShweShwe aus Südafrika. ShweShwe-Stoff ist einiges schwerer als der indische Handloom und ich hatte Anfangs ein wenig Bedenken, beide Stoffe zusammen zu vernähen. Im Endeffekt klappte es wunderbar und mir gefällt die Stoffmischung sehr gut.

 

ShweShwe hat seine eigenen Qualitäten. Er franst im Gegensatz zum Handloom nur sehr wenig aus und im Zweifelsfall reicht es meiner Erfahrung auch, ihn bei verdeckten Nähten einfach auch mal nur mit einer Zickzackschere zu schneiden, ohne noch speziell zu versäubern.

Beim Schnitt habe ich mich für den August Dress entschieden, welchen ich spontan bei Jess auf ihrem Blog Happy Together gefunden habe. Sie stellt den in den Grössen 2-9 Jahren erhätlichen Kleiderschnitt dort kostenlos zur Verfügung. Die Anleitung ist auf Englisch, aber gut bebildert und geübte Nähanfängerinnen kommen sicherlich gut zurecht.

 

Es besteht aus 4 Schnittteilen plus 3 Teile für das Futter des Oberteils. Ansonsten keinen Reissverschluss oder Knopflöcher und auch sonst keine anderen kniffligeren Sachen. Die Köpfe sind im Prinzip Deko und haben noch die Aufgabe, die beiden vorderen Teile fix zusammenzuhalten. Dadurch dass das Oberteil eher kurz ist und sowohl vorne als auch am Rücken weit geschnitten ist, lässt es sich - zumindest bei einem relativ schlanken Kind - gut an- und ausziehen.

Genäht habe ich die Grösse 2/3 Jahre. Obwohl die Nahtzugabe eigentlich bereits enthalten ist, habe ich sie doch noch dazugegeben. Die Armlöcher sind ein wenig zu gross, ich vermute mal dass das eine Konzession zur reissverschluss- und knopflochfreien Nähweise ist.

 

Die Anleitung ist übersichtlich gestaltet, mit einer sauberen Auflistung aller benötigten Materialien und gut erklärenden Fotos von den einzelnen Arbeitsschritten.

 

Sympathisch finde ich, dass Jess in ihrem Text schreibt, dass sie - obwohl sie es in diversen Grössen einmal durchgenäht hat - nicht alles komplett durchgetestet ist, eben weil es ja auch ein Freebook ist. Ein bisschen individuelle Improvisation darf sein.

Und, hat sich mein Vorurteil bestätigt? Neeeeein, natürlich nicht. Wäre es nämlich in die Hosen gegangen und ein für mich unbrauchbares Schnittmuster, hätte es das Kleid nicht auf meinen Blog gebracht ;-) Ich hätte jedenfalls für diesen Schnitt auch bezahlt, wenn er denn etwas gekostet hätte und hätte es nicht bereut!

 

Übrigens, weitere wunderschöne Designbeispiele in anderen Farben findet ihr bei:

  

  • PeterSilie & Co. welche im dritten Anlauf wunderschöne Fotos von ihrer rubinroten Jacke zeigt und gleich noch eine Schemazeichnung dazuliefert
  • Langes Fädchen, faules Mädchen, welche sich aus dem blauem Handloom mit goldener Bordüre einen Kaskadenrock und eine Wendeweste im orientalischen Stil genäht hat,
  • BuxSen, die mit dem pinken Handloom uns schonmal einen tollen Teaser von dem bald erscheinenden Etuikleid von So!Pattern zeigt
  • und Ella zeigt eine zauberhafte "Irene" von Lotte&Ludwig aus goldenem Handloom, einfach schön!

 

Gute Inspiration wünscht euch,

Franzisca

 


Stoffe:

Handloom mit Bordüre rosa/lila & ShweShwe pop-violett, wurden mir von Karlotta Pink - Stoffe aus aller Welt (Interessierte aus Deutschland hier entlang bitte) für dieses Projekt zur Verfügung gestellt, danke!

 

Schnittmuster:

August Dress, Freebok von Happy Together


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Kommentare: 6
  • #1

    PeterSilie&Co (Donnerstag, 22 Juni 2017 08:00)

    Ein schöner Text zum Lesen und du bist nicht alleine bei deinen zweifeln an Freebooks (wenn man schon die eine oder andere Abenteuerliche Geschichte zu den zu kaufenden eBooks liest). Fotos sind auch sehr herzig.
    Lg SAbine

  • #2

    naadisnaa (Donnerstag, 22 Juni 2017 10:28)

    Ein Mädchentraum und ein absolut unkitschiges Rosa, das wir unseren Mädels doch noch so gerne zugestehen.� Und ja, ich gehöre auch zur Ramsch-Skeptiker-Fraktion bzw. zahle gern aus Wertschätzung für Arbeit und Engagement.
    Glg Kathrin

  • #3

    karlottapink (Donnerstag, 22 Juni 2017 11:48)

    So schön geschrieben und die Kleine in dem Kleid ist zu süss! Vielen Dank liebe Franzisca für die schöne Zusammenarbeit.

  • #4

    Bettina (Donnerstag, 22 Juni 2017 12:54)

    Augenweide. Ich liebe das alte deutsche Wort. Im echten Leben braucht man es eher selten, doch manchmal darf es an den Start. Das Kleidchen ist genau das, eine Augenweide. Kann mich gar nicht satt sehen. ���

  • #5

    Heidi aeschlimann (Freitag, 23 Juni 2017 00:29)

    So ein wunderschönes Kleid und der Stoff ist einmalig. Toll gemacht.

  • #6

    Franzisca (Freitag, 23 Juni 2017 10:01)

    Ich danke euch für eure lieben Kommentare, ich freue mich sehr darüber!

    @Bettina, seit ich bei Kathrin das Wort "Netzhautpeitsche" gelesen habe, schwirrt mir dieser Ausdruck beim Nähen im Kopf herum und mein erklärtes Ziel ist es ja, so etwas zu vermeiden :-P.. Da freut es mich umso mehr, wenn es nicht nur keine Netzhautpeitsche ist, sondern sogar eine Augenweide ;-) Danke!

    Liebe Grüsse,
    Franzisca